Der Lesezirkel

von Peter Lohren

  Ein Grundsatz im Sinne eines Gesetztes sollte es sein, dass jeder, der irgendwo warten muss, eine Auswahl lesefähiger Zeitschriften angeboten bekommt. In einigen Warteräumen ist das auch annähernd gegeben. Es gibt seit Jahren den Lesezirkel, eine Firma, die die gesamte Boulevard Presse der vergangener Wochen sammelt, um sie dann beispielsweise Ärzten als Gesamtpaket  zu verscheuern. Vor zehn  Jahren war dieses Lesepaket dermaßen dick, dass es sich lohnte, unangemeldet zum Zahnarzt zu gehen.

  Die Zeit ist dahin und die Zeitungsmappe wurde um einiges dünner. Wenn sie in heute gezwungen sind, in einem Warteraum zu verweilen, kann es Ihnen passieren, dass der Zeitungsstapel nur noch alles beinhaltet, was sich das Golden Blatt nennt und das vor zehn Jahren im Stapel ganz unten lag. Auf dem Titelbild prangerte weiland irgendeine Prinzessin und sie prangert noch. Rechts unten in der Ecke war meist ein Bild von Inge Meisel, das haben sich die Blätter inzwischen wohl aus Pietätsgründen verkniffen haben.

  Am linken Rand dürfte sich auch heute noch ein Bild einer Braut in Weiss nebst Bräutigam mit verklärtem Blick befinden. Der Titelaufmacher ist seit zehn Jahren auch derselbe: "Stephanie mit neuem Mann am Strand gesichtet." 

  Man greift also frohen Mutes erneut in den Stapel Zeitschriften, weil geneigter Leser sicher ist, wie vor zehn Jahren wenigstens den Stern, die Bunte oder ein Automagazin zu ergattern, dass einem die Wartezeit mit Titeln wie: Reinhold Messner, mein Kampf mit dem Jeti, oder eine der nicht unspannenden Sommerloch Geschichten über Krokodile in Nachbars Gartenteich etc. zu überbrücken hilft. Nichts dergleichen. Jeder Griff führt unweigerlich zu einer Zeitschrift die irgendwas mit Gold oder mit Frau im Titel führt. Aber wer um alles in der Welt ist daran interessiert eine Geschichte über einen nymphomane Prinzessin zu lesen, auf deren Bild im Bikini am Strand man mehr als deutlich sehen kann, das Cellulite auch vorm adeligen Oberschenkel nicht halt macht?

  Wenn sie nun tapfer weiterblätternd bis zur Hälfte des Käseblattes angekommen sind, werden sie mit Geschichten gelangweilt, die in etwa so spannend sind wie das Telefonbuch einer Kleinstadt. "Mein Mann hat mich wegen einer Jüngeren verlassen". Wären diese Texte wirklich aus dem Leben des Goldenen Blatt Klientels, wär' man geneigt zu erwidern: Natürlich hat er das, wenn er die Chance dazu hatte. Nach den vermeintlichen Schicksalsschlägen aus der Feder unterbezahlter Autoren, scheint selbigen nichts mehr einzufallen, es folgen zwanzig Seiten Kreuzworträtsel, mittendrin gespickt mit Kochrezepten aus Omas Zeiten. Kurz und gut, tun sie sich selber einen Gefallen und gehen sie nie unangemeldet zum Zahnarzt.

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