Balkon mit 96000 PS


Mrs.L und ich haben gesün­digt, jawohl. Genö­tigt durch Bekann­te schip­per­ten wir jüngst mit einem Rie­sen­schiff durch die Ost­see. Natür­lich nicht ohne schlech­tes Gewis­sen. Die Neu­gier über­wog aller­dings. Ich hat­te von Kreuz­fahr­ten nicht nur nicht den blas­ses­ten Schim­mer; mei­ne Vor­stel­lung einer Kreuz­fahrt beschränk­te sich auf auf weih­nacht­li­chen Seri­en a la „das Traum­schiff.“ Illus­tre Mil­lio­nä­re las­sen mit Cham­pa­gner in der Hand, er im 4000 Euro Brio­ni Anzug, sie im Prad­akleid, den Blick über die Ree­ling schwei­fen. Umso über­rasch­ter war ich, als ich auf die Klei­der­fra­ge und in Sor­ge ob des Fal­ten­wurfs mei­nes 5 Jah­re alten Anzugs zu hören bekam:“ Anzug ist nicht, aber das Abend­essen soll­te in lan­ger Hose ein­ge­nom­men wer­den.“ In Erman­ge­lung kur­zer Hosen im hei­mi­schen Klei­der­schrank also kei­ne gro­ße Kreuzfahrerhürde.

Wer erst ein­mal die Sicher­heits­checks (vier an der Zahl!) pas­siert und sein Recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung an der Schiffs­klap­pe abge­ge­ben hat, den umschließt das Schiff wie ein Pan­zer, von dem man oben aus dem Aus­guck, Par­don von der Reling, auf das run­ter schau­en kann, was dort in drei­ßig Meter Tie­fe so im Hafen passiert.

Im Schiffs­bauch zeigt sich das Ambi­en­te for­mi­da­bel. Hat sich der Rei­sen­de ein­mal an die stän­di­ge ner­ven­de Des­in­fi­zie­re­rei — aus mei­ner Sicht albern, aber wohl not­wen­dig — der Hän­de vor jeder Restau­rant­tür gewöhnt, prä­sen­tiert sich ein Buf­fet, dass tat­säch­lich sei­nes­glei­chen sucht.

Pas­sa­gie­re die sich nach abend­li­chen Ver­an­stal­tun­gen mor­gens aus der Kabi­ne schä­len, belohnt der Blick fast jeden Mor­gen auf eine ande­re Stadt – und das ohne läs­ti­gen Fuß­marsch. Betreu­ter Urlaub vom Bal­kon aus.

Mrs. L und ich sind uns einig: Kreuz­fahr­ten sind für Leu­te die beim Fahr­rad­fah­ren einen Helm tragen.