Netzlese

Wenn Hei­mat­mi­nis­ter See­ho­fer, so wie er behaup­tet, tat­säch­lich in den acht­zi­ger Jah­ren im Inter­net unter­wegs war, hät­te er wahr­schein­lich nicht viel gese­hen. Das Netz wie wir es ken­nen, ent­wi­ckel­te sich erst ab Anfang bis Mit­te der neun­zi­ger Jah­re zu einem Medi­um für alle. Neben dem gro­ßen Dot­com Boom schuf das Netz eine Viel­zahl von Netz­pio­nie­ren, die das neue Medi­um zum publi­zie­ren ani­mier­te. Durch die leicht zu erler­nen­de Aus­zeich­nungs­spra­che HTML konn­te jeder sei­ne per­sön­li­chen Prä­fe­ren­zen öffent­lich machen. Das führ­te nicht nur zu skur­ri­len Netz­auf­trit­ten, wie die des bekann­tes­ten Exhi­bi­tio­nis­ten String Emil, den es tat­säch­lich noch gibt, son­dern oft­mals zu ambi­tio­nier­ten Ver­su­chen, eine gewis­se Sinn­haf­tig­keit von Design und Inhalt unter Ver­wen­dung meist rudi­men­tä­rer HTML-Kennt­nis­se zu vereinen.

Bei vie­len ist es beim Ver­such geblie­ben und die größ­ten Trash-Sei­ten schaff­ten sei­ner­zeit eine Nomi­nie­rung auf der end­gül­ti­gen Müll­sei­te. Die Müll­sei­te wird seit 2007 nicht mehr aktua­li­siert, was zum einen scha­de ist, aber zum ande­ren ver­ständ­lich, da seit die­ser Zeit vor­ge­fer­tig­te Blog­sys­te­me mit ent­spre­chen­den The­mes die Design­ar­beit über­nah­men und so der Ein­heits­brei von Word­Press The­mes den muti­gen „Design­sei­ten“ Platz machte.

Aber es gibt sie noch, die ver­we­ge­nen Sei­ten. Uner­schro­cke­ne Web­mas­ter, die sich den ästhe­ti­schen Grund­prin­zi­pi­en beharr­lich ver­wei­gern, grund­le­gen­de HTML-Regeln mutig miss­ach­ten und den Besu­cher mit selbst­ge­fäl­li­ger Ortho­gra­phie überraschen.

Da wäre WoGru, der tat­säch­lich in der Gro­tesk-Schrift­art Comic Sans MS Belang­lo­ses inhalt­lich über­sicht­lich zur Ver­fü­gung stellt. War­um er die Sei­te nicht löscht, die offen­kun­dig als Home­page­lei­che über­spann­ter Ambi­ti­on die Hoch­zeit im Netz zu prä­sen­tie­ren übrig geblie­ben ist, bleibt sein Geheimnis.

Dipl.-Ing. Jür­gen A. Neu­ber hin­ge­gen weist in sei­ner His­to­rie dar­auf hin, sich tat­säch­lich noch um sei­ne Sei­te zu küm­mern. Der letz­te Ein­trag datiert auf den 10. Janu­ar 2019. Jür­gen A. Neuber’s Design zeich­net sich durch eine abso­lu­te Unüber­sicht­lich­keit in der Hin­ter­grund­far­be grau, fünf ver­schie­de­nen Schrift­far­ben und wild ver­teil­ten Tex­ten aus, die zu allem Über­fluss teil­wei­se unter­stri­chen sind. In den Tex­ten dann, eben­falls wild gestreut, etli­che Links zu den ver­schie­dens­ten The­men­ge­bie­ten, die den Dipl.-Ing. aus Sach­sen interessieren.

Karl Frit­sch nennt eine Home­page sein Eigen, bei der man die Ver­mu­tung haben könn­te, es hand­le sich um Sati­re. Die Sei­te blinkt und schreit in allen Far­ben. Die ein­zi­gen Hin­wei­se dar­auf, dass es sich bei Karl Frit­sch um eine tat­säch­lich exis­tie­ren­de Per­son han­deln könn­te, ist ein ver­steck­tes Impres­sum und die Tat­sa­che, dass auf der Sei­te nach einer Part­ne­rin gesucht wird, die schlank, Nicht­rau­che­rin und haus­halts­af­fin ist.

Künstliche Intelligenz

Offen­sicht­lich ist heut­zu­ta­ge nicht mehr der Motor das Wich­tigs­te in einem Auto, son­dern der Com­pu­ter. Der Wagen ächzt und jault beim Anlas­sen und die kal­ten Sau­er­län­der Win­ter sind nicht gera­de dazu ange­dacht, eine alters­schwa­che Bat­te­rie dazu zu bewe­gen, ihren Dienst zu tun. Ein­ge­denk der Tat­sa­che, dass ich bereits ein hal­bes Ver­mö­gen in das Auto gesteckt habe, kommt es auf eine Bat­te­rie nun wohl auch nicht mehr an, den­ke ich und beschlie­ße, beim Tei­le­händ­ler mei­nes Ver­trau­ens eine neue Strom­quel­le zu erwer­ben. Der belehrt mich erst ein­mal, dass eine Bat­te­rie nicht ein­fach aus­zu­tau­schen sei, schon gar nicht von einem Lai­en. Beim Wort Lai­en zucke ich kurz zusam­men, hat doch die für­sorg­li­che Pfle­ge und die zahl­rei­chen Unter­hal­tun­gen bei noch zahl­rei­che­ren Repa­ra­tu­ren mein Auto betref­fend, dafür gesorgt, dass ich umfang­rei­ches Wis­sen über Fahr­zeu­ge ansam­meln konn­te; sogar mei­ne Dia­gno­sen tref­fen oft ins Schwar­ze. Ich bin sozu­sa­gen der Dr. House des Automobils.

Die Ant­wort lässt mich also ein wenig belei­digt zurück, auch des­halb, weil man für den Aus­bau einer Bat­te­rie sicher kein Rake­ten­tech­ni­ker sein muss. Muss man nicht, klärt mich der Fach­mann auf, man müs­se nur ein Lap­top mit der spe­zi­el­len Soft­ware für das Auto haben, um die neue Bat­te­rie ent­spre­chend am Steu­er­ge­rät anzu­mel­den. Wenn man Pech habe, so der Mann, will das Auto vier Stun­den in Ruhe gelas­sen wer­den, damit sich das Steu­er­ge­rät zurück­setzt und anschlie­ßend die Bat­te­rie selbst­stän­dig erkennt.

Und annimmt, freund­schaft­lich wahr­schein­lich, sin­nie­re ich kurz über die offen­bar zuneh­men­de künst­li­che Intel­li­genz von Autos. Mir macht das ja inzwi­schen Sor­ge; wenn Din­ge der­ma­ßen vor Intel­li­genz strot­zen, dass die mei­ne nicht mehr aus­reicht, um sie zu reparieren.