Wahr und Unwahr

Wahr ist, dass der dem im zwei­ten Welt­krieg für die Ermor­dung etli­cher Dis­si­den­ten ver­ant­wort­li­che Ste­pan Ban­de­ra zuge­neig­te „Reprä­sen­tant eines ernst zu neh­men­den Staa­tes ersicht­lich unge­eig­ne­ter Moralpöbler“¹, Andrij Mel­nyk, den ver­stor­be­nen Faschis­ten Ban­de­ra im Jahr 2015 mit Blu­men am Grab ehrte.

Unwahr ist, dass ab sofort alle Bot­schaf­ter mit einem Fai­ble für Auto­kra­tie und Mas­sen­er­schie­ßun­gen einen Ehren­kranz für ver­stor­be­ne Natio­nal­so­zia­lis­ten in der Bun­des­re­pu­blik nie­der­le­gen dürfen.

Wahr ist, dass Fried­rich Merz den Deut­schen erklärt, dass ihr Wohl­stand vor­erst vor­bei sei.

Unwahr ist, dass der Oppo­si­ti­ons­füh­rer und CDU-Chef als sicht­ba­ren Beweis dafür eines sei­ner Flug­zeu­ge ver­kau­fen will.

Wahr ist, dass die Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lam­brecht in guter Tra­di­ti­on unfä­hi­ger Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter und — minis­te­rin­nen steht.

Unwahr ist, dass ihr Des­in­ter­es­se an dem Amt dar­auf zurück­zu­füh­ren ist, dass sie rund um die Uhr ihren erwach­se­nen Sohn beauf­sich­ti­gen muss.

¹ Tho­mas Fischer in Spie­gel-online.

Krieg als Mittel der Politik

Der deut­sche Phi­lo­soph Hegel sah im Krieg etwas Rei­ni­gen­des, dass die »Staa­ten vor der Fäul­nis bewahrt, in wel­che sie eine dau­ern­de Ruhe oder gar ein ewi­ger Frie­den ver­set­zen wür­de.« Vor Beginn des 1. Welt­krie­ges sahen auch eini­ge Intel­lek­tu­el­le den Kriegs­ein­tritt positiv.

»Anton Wild­gans, Georg Heym, Tho­mas Mann, Georg Tra­kl, Ernst Jün­ger, Max Sche­ler, Her­mann Bahr, Georg Sim­mel, Hugo von Hof­manns­thal, Rai­ner Maria Ril­ke, Robert Musil, Oskar Kokosch­ka usw. – begrüß­ten den Krieg. Sie sahen in ihm nicht das Ende oder den Unter­gang, son­dern die Ver­än­de­rung, den Auf­bruch in eine neue, bes­se­re Welt, frei von Deka­denz, Uti­li­ta­ris­mus und Entfremdung.«

Selbst Ärz­te und Wis­sen­schaft­ler waren dem Krieg zuge­tan, als »Aus­le­se der schwa­chen Gesell­schafts­seg­men­te und als Prüf­stein, an dem alles aus­ge­schie­den wür­de, was krank und faul ist.«

Ich kann mich des Ein­drucks nicht erweh­ren, dass auch heu­te vie­le Medi­en­ver­tre­ter, Poli­ti­ker und Bür­ger dem nicht abge­neigt sind. Anders lässt sich die neue ent­deck­te Kriegs­lust von Tei­len der Grü­nen, FDP und CDU kaum erklä­ren. Die Sofa­krie­ger im Bun­des­tag schei­nen das Hel­den­tum wie­der ent­deckt zu haben. Deutsch­lands Außen­mi­nis­te­rin spricht vom Sieg der Ukrai­ne und eine vor­sich­ti­ge Staats­füh­rung des Bun­des­kanz­lers ob der Beden­ken eines 3. Welt­kriegs wird als zögernd und Weich­ei­po­li­tik abge­tan, der­weil der ukrai­ni­sche Zuflüs­te­rer Mel­nyk die Regie­rung belei­di­gen darf und sich des Jubelns vie­ler kriegs­be­sof­fe­ner Mit­strei­ter sicher sein kann. Ver­ges­sen wird lei­der, dass es am Ende nie einen »kon­trol­lier­ten« Krieg geben kann. Wes­halb soll­te die größ­te Atom­macht der Welt einer völ­lig nai­ven Logik der EU-Prä­si­den­tin Ursu­la von der Ley­en fol­gend, einer bedin­gungs­lo­sen Kapi­tu­la­ti­on zustimmen?

Mehr noch, mit den ein­deu­ti­gen Wor­ten aus Brüs­sel, dem »ent­gül­ti­gem Sieg« der Ukrai­ner und dem Hin­weis der EU-Prä­si­den­tin, man wer­de »Pro­zes­se gegen alle Kriegs­knech­te des Kremls« füh­ren, ist der Weg für Ver­hand­lun­gen nicht nur ver­baut; die Aus­sa­ge zeigt, das der Weg des Krie­ges und der Gewalt der ein­zi­ge für Brüs­sel ist und das offen­sicht­lich mit allen Kon­se­quen­zen für Deutsch­land. Wenn man das Worst-Case Sze­na­rio ein­mal durch­spielt, kommt man ganz schnell zu der Über­le­gung, dass es bei wei­te­rer Eska­la­ti­on Deutsch­land und Euro­pa die gro­ßen Ver­lie­rer sein dürften.

Trotz aller Beteue­rung von Poli­ti­kern und Kon­flikt­for­schern, dass ein Atom­schlag der Rus­sen unwahr­schein­lich ist, könn­te die Nai­vi­tät der Aus­sa­ge bei Über­schrei­tung einer roten Linie genau dazu füh­ren. Das Sze­na­rio jeden­falls hat Russ­land bereits visua­li­siert dar­ge­stellt und zwar nicht mit tak­ti­schen Kern­waf­fen gegen die Ukrai­ne, son­dern mit stra­te­gi­schen Atom­waf­fen gegen Europa.

Ist es klug, ein Land das über ca. 6000 Atom­spreng­köp­fe ver­fügt und somit die größ­te Atom­macht der Welt ist, mit einer For­de­rung zur bedin­gungs­lo­sen Kapi­tu­la­ti­on so sehr an die Wand zu drän­gen, das bei einem Macht­men­schen wie Putin reflex­ar­tig die Mög­lich­keit zu einem ato­ma­ren Erst­schlag gegen die ver­meint­li­chen Aggres­so­ren nicht aus­zu­schlie­ßen ist? Der Mann ist sieb­zig Jah­re alt und hat nichts zu verlieren.

Gera­de die bei­den Welt­krie­ge soll­ten uns ein mah­nen­des Bei­spiel dafür sein, was pas­siert, wenn sich die Eska­la­ti­ons­spi­ra­le aus Miss­ver­ständ­nis­sen, fal­schen Infor­ma­tio­nen und Pro­pa­gan­da auf­schau­kelt und irgend­wann nicht mehr zu stop­pen ist. Mit der Lie­fe­rung schwe­rer Waf­fen an die Ukrai­ne sind wir, sogar laut Mel­nyk, Diplo­mat und Freund rechts­extre­mer Grup­pie­run­gen, für Russ­land sogar bereits Kriegspartei.

Bei allem Ver­ständ­nis hel­fen zu wol­len, soll­ten wir uns an die Wor­te Hel­mut Schmidts erin­nern, der eine Ein­mi­schung in die inner­po­li­ti­sche Kon­flik­te eines Lan­des stets ablehn­te.

»Gewalt lässt sich nicht mit Gewalt aus­rot­ten«, davon war der ehe­ma­li­ge Bun­des­kanz­ler überzeugt.
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Quel­len­nach­wei­se:

Wiki­pe­dia — der ers­te Weltkrieg

Wiki­pe­dia — Die zuspit­zung des Kon­flikts, die Juli-Krise

»Krieg! Es war Rei­ni­gung, Befrei­ung, was wir emp­fan­den, und eine unge­heu­re Hoffnung.«

nachdenkseiten.de — Deutsch­land, wo sind Dei­ne Dich­ter und Denker?

Oskar Lafon­taine — Ame­ri­ka treibt Euro­pa in einen Atomkrieg.

jungewelt.de — Bis zum letz­ten Tropfen.

berliner-zeitung.de — Mel­nyk: »Für Putin ist Deutsch­land längst Kriegspartei«

Frank­fur­ter Rund­schau — Ukrai­ni­scher Bot­schaf­ter Andrij Mel­nyk unter­stützt ultra­rech­tes Asow-Regiment

zeit.de [Arti­kel aus dem Jah­re 2009] — Schmidt gegen Ein­mi­schung in ande­ren Staaten