Wie HTML in mein Leben trat, oder Der Wechsel der Kartoffelsorte

 

  Als eingeschworener Apple-Fan begeisterte meinen Lebensgefährten meine Idee nicht sonderlich, beim Aldi-Super-Coup 1998 einen Computer mit Zubehör und Windows 95 zu erwerben. Auf seinem alten Apple-Computer liefen alle mittlerweile als zum Allgemeinwissen gehörend geltenden Programme meiner aufgerüsteten Bekannten nicht.
  Schließlich unterlag er meinem ausdauernden Gequengel. Unter Einsatz seines Lebens oder zumindest eines wertvollen Teils seiner Gesundheit erkämpfte mein Lebensgefährte für mich also einen Aldi-Computer. Von dem Apple-Schätzchen trennte er sich schweren Herzens und vertraute ihn meiner Mutter zu treuen Händen/sanften Schreibfingern an.
  Das Wissen, den Apple noch in Verwendung zu wissen erleichterte ihm den Abschied und mir das schlechte Gewissen. In den nächsten Monaten entwarf ich voller Begeisterung Haushaltsausgabentabellen, persönliche Ordner und andere den Ordnungssinn einer Beamtin befriedigende Dinge. Die Fähigkeit, meine Haushaltsausgabentabelle in ein buntes Säulendiagramm zu verwandeln vertrieb endgültig das dumpfe Gefühl, dem Stand der Technik hoffnungslos hinterherzuhinken.


  Meinen Mann indessen trieb sein Schlosserinstikt zum tieferen Eingreifen. Mit Schraubenzieher und Hammer wagte er sich zu meinem hellen Entsetzen bis in die Eingeweide des Computers vor. Als verginge sich ein Kurpfuscher an meinem einzigen Einzelkind, verbrachte ich Stunden in banger Erwartung, ob der Bildschirm nach den schweren Eingriffen wieder zu buntem Leben erweckt werden kann. Meistens klappte es, aber manchmal eben auch nicht. Die anhaltende Dunkelheit des Bildschirms verursachte erste Krisen in unserer ansonsten ausgeglichenen Beziehung. Mit Verbitterung nahm ich die Vernichtung all meiner Mühen in Gestalt der Haushaltsausgabentabelle zur Kenntnis.


  Selbst wenn Rudimente erhalten werden konnten, so fand ich doch nach diesen Eingriffen alles verändert vor. Die Symbole befanden sich nicht mehr an der Stelle, an der ich sie haben wollte, der Bildschirm war nicht mehr grün sondern blau, seltsame neue Felder versehen mit Namen, die ich der Raumfahrttechnik zuordnete, tauchten auf. Ich betrachtete die Entwicklung mit Unruhe und Mißtrauen. Mein Mann wies mich mehrfach nachdrücklich auf die Notwendigkeit seiner Eingriffe hin. Schließlich war der Computer bei weitem nicht mit einem Apple vergleichbar. Um Qualität und Leistungsfähigkeit wenigstens annähernd zu erreichen, mußten diverse Veränderungen vorgenommen werden.
  Die Wurzel allen Übels fand mein Mann in dem Betriebssystem Windows 95. Wie eine Droge führe es weniger intelligente Menschen in die Abhängigkeit von Microsoft und spähe die Lebensgewohnheiten und intimsten Geheimnisse seiner Anhänger aus.
Eine bahnbrechende Entscheidung, die einschneidende Veränderungen in unserem Leben und auf unserer Festplatte zur Folge hatte, traf mein Mann zum Zeitpunkt der Kartoffelernte. Im Frühjahr hatten wir 15 Kartoffeln gepflanzt, die den Sommer über zwischen Unkraut und Brennesseln prächtig gediehen. Entgegen den Prophezeihungen meines Vaters konnten wir doch ungefähr 150 Kartoffeln ernten, obwohl die Kartoffeln weder angezogen noch angehäufelt worden waren. Als mein Mann mir mitteilte, er sei zu der Entscheidung gekommen, daß er zu Unix wechseln wolle, stimmte ich unter der Voraussetzung zu, daß es sich bei Unix ebenfalls um eine festkochende Kartoffelsorte handelte.
  Verständnisvoll lächelnd erklärte er mir in einfachen Worten, daß es sich dabei um ein Betriebssystem handelt, daß um Längen professioneller sei als windows 95. Da ich keineswegs bereit war, dem Austausch des auch von mir problemlos zu bedienenden windows 95 gegen ein mit eigener Sprache verschlüsseltes geheimnisumwobenes Hackerprodukt widerstandslos zuzusehen, drohte ich ihm die Zerstörung der gesamten Hardware durch rohe Gewaltanwendung an. Nach nächtelangen Diskussionen erklärte ich mich mit der gütlichen Trennung der Festplatte einverstanden. Daß ich dabei auch gleichzeitig das Sorgerecht weitestgehend aufgab, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewußt.
  Es folgte eine Zeit der einsamen Nächte, die mein Lebensgefährte kettenrauchend und Verzweiflungsschreie ausstoßend vor dem Computer verbrachte. Wenn sein Haarwuchs üppiger wäre, hätte man sicherlich eine zunehmende Graufärbung erkennen können. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Bis auf die Knochen abgemagert stellte mein Lebensgefährte Wochen später fest, daß auch ihm sich die Worte des Linux nicht uneingeschränkt erschließen wollten. So wandte er sich schließlich einer gemäßigteren Richtung, dem HTLM zu. Bestärkt in seinem Eifer durch einige wenige Gleichgesinnte (um genau zu sein einem Gleichgesinnten) tummelt er sich nun auf diesem Gebiet.


  Abends sitzen wir nun wieder ab und zu gemütlich in der Küche und er erzählt mir von seinen Abenteuern im Internet, seiner homepage, seinen zwei Browsern und den zahlreichen Mails, die er erhält. Mit der geteilten Festplatte haben wir uns arrangiert.   Leider läßt sich dieser Riß nicht mehr kitten. Neulich habe ich geträumt, der nette Netscape Communikator aus dem Explorer hätte mich in seinem Browser zum Surven abgeholt. Der Netscape Communikator rutschte immer mehr auf meine Site und als er meinen Ordner öffnen wollte, habe ich ihm das Notebook auf die Finger gehauen. Er ist schließlich kein registrierter Benutzer. Zur Versöhnung lud er mich in das Internet-Cafe ein. Der Server brachte uns einen URL, meiner war absolut ..., seiner aber relativ... Als er mir anschließend seine Zip-Dateien zeigen wollte, ging mir ein Link auf und ich wollte lieber wieder zu meiner homepage.Da weiß ich schließlich, was ich hab. (Ulla,  Oktober 1999)

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