Die Laus

Bild unter CC BY-NC von: Clau­dio Grat­ton, Uni­ver­si­ty of Wisconsin
Aus mei­ner Sicht gibt es in der Natur völ­lig über­flüs­si­ge Gat­tun­gen und wenn sie dann noch am fal­schen Ort sind, möch­te man “über­flüs­sig” zum Super­la­tiv stei­gern. Allein — eine Stei­ge­rungs­form gibt es nicht.

Mücken im Schlaf­zim­mer, Flie­gen im Bier­schaum sind gän­gi­ge Meta­phern zu „über­flüs­sig.“ Läu­se an Pflan­zen fällt mir momen­tan noch ein, da der aku­te Zustand — also die Laus, nicht der Zustand, der­zeit unse­re Lupi­nen bewohnt.

Myria­den von Läu­sen dezi­mie­ren die wirk­lich schö­ne Ansamm­lung bun­ter Lupi­nen im Garten.

Das sieht nicht nur unschön aus, son­dern lässt nach geta­nem Werk hin­ge­rich­te­te Pflan­zen zurück, die nicht so aus­se­hen, als wür­den sie sich jemals wie­der erholen.

Beim rigo­ro­sen Vor­drin­gen in den durch die gemei­ne Blatt­laus annek­tier­ten Gar­ten­ab­schnitt schließ­lich, ste­he ich in einer Wol­ke auf­ge­scheuch­ter pflan­zen­sau­gen­der Insekten.

Ich kann nur hof­fen, dass ich die bio­lo­gi­sche Unter­ord­nung der Gat­tung Schna­bel­ker­fe nicht absor­biert habe – dann käme dem Sprich­wort: „Laus über die Leber“ gelau­fen näm­lich eine ganz neue Bedeu­tung zu.

Muttertag

Heu­te ist Mut­ter­tag. Den Fami­li­en­nach­wuchs ficht das nicht an, auch ich wer­de vom jüngs­ten Netz­kind mit einem Geschenk bedacht. Genau­er – mit einem Bild, selbst gemalt, ver­steht sich. Das Bild kann ich nicht iden­ti­fi­zie­ren, ich wür­de aber ver­mu­ten, es ent­spricht exakt der Phan­ta­sie der Drei­jäh­ri­gen, mich inmit­ten Luzi­fers Schre­ckens­welt auszusetzen.

Das jüngs­te Netz­kind und ich haben eine ganz beson­de­re Art der Zunei­gung; wenn sie bei uns ist, beißt sie mir ins Knie. Ich ver­mu­te in der archai­schen Begrü­ßungs­wei­se eine ganz beson­de­re Sym­pa­thie und knei­fe ihr, wenn kei­ner guckt, als eine mei­ner­seits dar­ge­brach­te Freu­de ihres Besuchs in die Wan­ge, was sofort mit laut­star­kem und deut­li­chen Miss­fal­len beant­wor­tet wird.

Im Lau­fe so eines Besuchs sind wei­te­re herz­li­che Ritua­le mög­lich, wobei ich sämt­li­che dazu benutz­ba­ren Gegen­stän­de bereits in den Kel­ler geräumt habe. Nicht das ich glau­be, das jüngs­te Netz­kind wäre mir gegen­über zu rabia­ten Angrif­fen mit bspw. Werk­zeu­gen fähig, aller­dings ist ein zweck­ent­frem­de­ter 32 Maul­schlüs­sel, der für die CO2-Anla­ge mei­nes Aqua­ri­ums gedacht ist, die Ver­su­chung nicht wert und mei­ne Knie­schei­be wird mir die Prä­ven­ti­on des Weg­räu­mens sicher­lich danken.

Ich bin ja sowie­so der Ansicht, mit einer Ein­kehr der Fami­lie an Weih­nach­ten und Ostern bei uns, wäre der fami­liä­ren Besuchs­pflicht Genü­ge getan, aber selbst die Argu­men­ta­ti­on einer par­al­lel zur besuchs­ar­men Zeit anstei­gen­den Freu­de des Wie­der­se­hens fin­det kein Gehör. Ist eben nicht mein Tag heu­te – aber ich bin ja auch kei­ne Mutter. 

Wartungsintensiv

Ab einem gewis­sen Alter machen Ärz­te ein­fach nur noch schlech­te Lau­ne. Der Inter­nist genau­so wie der Zahn­arzt. Ins­be­son­de­re letz­te­rer neigt wäh­rend der pro­phy­lak­ti­schen Behand­lung seit eini­ger Zeit dazu, den Kopf zu wie­gen und Sachen zu sagen wie: “Oh, oh. Das ist nicht schön.”

Die schlech­te Lau­ne wird nicht bes­ser, auch wenn sich die aus post­trau­ma­ti­schen Bedin­gun­gen zusam­men­phan­ta­sier­te Zahn­arzt­pra­xis lang­sam vor dem geis­ti­gen Auge vom Hor­ror­ka­bi­nett in eine nor­ma­le Zahn­arzt­pra­xis wandelt.

Nicht, dass ich falsch ver­stan­den wer­de; mein Zahn­arzt ist der net­tes­te Zahn­arzt weit und breit und auch sein Team ist über­aus zuvorkommend.

Aller­dings – beim Betre­ten einer ste­ri­len Umge­bung mit chrom­blit­zen­den Werk­zeu­gen geht mei­ne Phan­ta­sie mit mir durch und die net­ten Arzt­hel­fe­rin­nen ver­wan­deln sich nebst ihrem Chef in blut­rüns­ti­ge Furi­en aus einem schlech­ten Horrorfilm.

Und dann – Auf­tritt Dr. Jekyll, meta­mor­pho­siert in Gestalt des Mr. Edward Hyde setzt er als der­sel­be mit einer rie­si­gen Chrom­zan­ge und etwas das aus­sieht wie eine metall­blit­zen­de Sen­se an, um mir, beglei­tet durch häss­li­che Geräu­sche, paar Zäh­ne aus dem Ober­kie­fer zu brechen.

Die Rea­li­tät: Mit einer Zahn­son­de begut­ach­tet mein über­aus freund­li­cher Zahn­arzt mein Gebiss und bemerkt eben­so freund­lich wie bestimmt, dass die Zahn­pfle­ge in mei­nem Alter inten­si­viert wer­den müs­se; was schlicht­weg heißt: Zwei­mal im Jahr auf dem Fol­ter­stuhl Platz zu nehmen.

Nützliches Erbe

Der Kum­pel erzählt von einem ganz beson­de­ren Geschenk für sei­nen gera­de voll­jäh­rig gewor­de­nen Sohn.

Er habe ihm am Geburts­tag in sei­nen Hob­by­raum geschleppt. Der Hob­by­raum ist eine ein­ge­rich­te­te Werk­statt mit einem Sam­mel­su­ri­um von Motor­rä­dern in Teilen.

Dem erstaun­ten Spröss­ling gra­tu­lier­te er dann mit den Wor­ten:“ Herz­li­chen Glück­wunsch zum Geburts­tag, Du bist nun stol­zer Besit­zer einer Hon­da Bold­or, musst Dir nur noch die pas­sen­den Tei­le suchen und zusammenschrauben.“

Nach zwei drei Anläu­fen gab der Jun­ge mit dem Hin­wei­se auf, das nächs­te Mal soll­te es viel­leicht ein Geschenk in Rich­tung PC-Hard­ware sein, da ken­ne er sich aus.

Vor etwa drei­ßig Jah­ren, über­reich­te mir über­ra­schen­der Wei­se der Groß­va­ter einer Bekann­ten meh­re­re Zigar­ren­kis­ten, in denen er fein säu­ber­lich, im Innern mit Sperr­holz­plätt­chen abge­trennt, die Schrau­ben auf­be­wahr­te, die ihm offen­sicht­lich im Lau­fe des Lebens in die Fin­ger gekom­men waren.

Mei­ne Hoch­ach­tung galt der Akri­bie der Sam­mel­lei­den­schaft und der Men­ge gerauch­ter Zigar­ren gleichermaßen.

Ges­tern dann der Lohn für jahr­zehn­te­lan­ger Auf­be­wah­rung der zweck­ent­frem­de­ten Käst­chen: Eine drin­gend benö­tig­te Spe­zi­al­schrau­be, weder im Bau­markt noch sonst wo zu bekom­men, fand sich in Zigar­ren­kis­te Num­mer Zwei.

Alte Autos

Noch vor zwan­zig Jah­ren war eines unum­stöß­lich: Das Auto mit dem Stern hat­te ein Min­dest­halt­bar­keits­da­tum, das der Dau­er des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges gleich kam. Mei­ne Berech­nun­gen jeden­falls, mit einem alten Daim­ler so kos­ten­güns­tig wie mög­lich mobil unter­wegs zu sein, gin­gen bis­her immer auf.

Die auto­mo­bi­le Rech­nung mit Hil­fe eines Benz hieß: zehn Jah­re alt — Brem­sen neu gemacht — neue Rei­fen drauf und schon lief die Kis­te die nächs­ten acht Jah­re ohne gro­ßes Mur­ren. Danach gab’s noch 3000 Mark Rest­wert und man hat­te ein Auto mit einem Wert­ver­lust von nicht mal 1000 Mark jähr­lich gefahren.

Die Zei­ten der Unka­putt­bar­keit sind vor­bei – die Berech­nun­gen funk­tio­nie­ren nicht nur nicht – die Umset­zung mei­ner jah­re­lan­gen Stra­te­gie ist heu­te schlicht­weg der schnells­te Weg in den finan­zi­el­len Ruin.

„Vie­le Autos wer­den mit Halt­bar­keit nicht län­ger als acht Jah­re gebaut, da macht der mit dem Stern kei­ne Aus­nah­me. Die sind so teu­er, die kauft kei­ner mehr als Neu­wa­gen, wer­den nur noch geleast und nach vier Jah­ren wie­der abge­ge­ben “, klärt mich mein Auto­me­cha­ni­ker auf, mit dem ich inzwi­schen ob der vie­len Besu­che per Du bin.

Ein Geschäfts­mo­dell, das die Ware so teu­er macht, dass sie unbe­zahl­bar wird, des­halb nur noch gemie­tet wird und da sie nur ein paar Jah­re gemie­tet wird, mit einer Lebens­dau­er von weni­gen Jah­ren? Klingt nach einer Geld­druck­ma­schi­ne und ist es wohl auch. Ähn­li­ches kann­te ich bis­her nur von Soft­ware, respek­ti­ve von Photoshop.

Für mein Bud­get bleibt also nur die Suche nach einem neu­en Modell der preis­wer­ten Mobi­li­tät, ohne einen Kleinst­wa­gen fah­ren zu müssen.

Der Lada Niva kommt dem ziem­lich nah. Die Tech­ni­k­re­dak­teu­re, die den Lada gefah­ren sind, schrei­ben aller­dings von „viel Humor mit­brin­gen“ und ein Leer­lauf, der sich anhört, „als wür­de der Lada Niva mit ros­ti­gen Schrau­ben gurgeln.“

Der Ben­zin­ver­brauch ver­läuft dia­me­tral zur Motor­leis­tung; tat­säch­lich scheint die Nut­zung des 70er Jah­re Fos­sils auf das nach Hau­se brin­gen erleg­ter Elche in der Tai­ga beschränkt.

Immer­hin, hin­sicht­lich die­ser Bestim­mung lässt sich das Auto offen­sicht­lich auch von innen mit einem Dampf­strah­ler rei­ni­gen, was mei­nem per­sön­li­chen Prag­ma­tis­mus durch­aus nahe kommt.

Ein wenig Zeit bleibt mir viel­leicht: mein Auto hat gera­de die Werk­statt ver­las­sen. Die Auf­zäh­lung der not­wen­di­gen Repa­ra­tu­ren auf der Rech­nung erstreck­te sich über vier Seiten.

Zwiebelohr

Dem Netz­kind zieht’s im Ohr, krank­heits­be­dingt. Mrs. L bas­telt Zwie­bel­säck­chen zur Lin­de­rung des schmerz­haf­ten Gehör­gangs. Mein Hin­weis auf Kon­sul­ta­ti­on durch den Arzt fin­det Zustim­mung. Vor Besuch des Fach­manns möch­te das Netz­kind letz­te Zwei­fel aus dem Weg geräumt haben und schreibt via Whatsapp:

Netzkind: Wie lange muss Du heute arbeiten?

Ich: Bin ca 15.40 Uhr zu Hau­se, warum?

Netz­kind: Ok, gut. Du musst über­prü­fen, ob ich immer noch nach Zie­beln stin­ke, bevor ich zur Krä­mer gehe. Ich rie­che abso­lut nix.

Ich: Dr. Krä­mer ist Mensch­li­ches nicht fremd, sieh zu, dass Du da gleich hingehst.

Netz­kind: Zwie­bel­ge­ruch ist nicht mensch­lich, son­dern Gemü­se. Die machen erst wie­der um 16.00 Uhr auf.

Bienen husten nicht

Das Netz­kind hat’s erwischt. Erkäl­tung und ein Hus­ten, der einem Schwind­süch­ti­gen zu Ehren gereicht. Die bes­se­re Hälf­te ver­ord­net alter­na­ti­ve Medi­zin in Form von Globuli.

Der­ar­ti­ges wider­strebt mir allei­ne schon des­halb, weil ich nicht glau­ben kann, dass ein Wirk­stoff, der einem Wirk­stoff­trop­fen im Mit­tel­meer ent­spricht, wirk­lich hel­fen soll.

Ich schlep­pe Zink­prä­pe­ra­te und Vit­amin C an, sozu­sa­gen als Krü­cke für das geplag­te Immunsystem.

Letzt­end­lich über­zeugt Mrs. L mit Pro­po­lis-Kap­seln. Pro­po­lis, so lese ich, ist eine von Bie­nen her­ge­stell­te harz­ar­ti­ge Mas­se mit anti­bio­ti­scher, anti­vi­ra­ler und anti­my­ko­ti­scher Wirkung.

Kann also nicht so schlecht sein. Zumal ich von erkäl­te­ten Bie­nen noch nie gehört hatte.

Das Netz­kind ver­or­tet Pro­po­lis rein zur äuße­ren Anwen­dung:“ Pro­po­lis wur­de im alten Ägyp­ten bei der Ein­bal­sa­mie­rung von Mumi­en ver­wen­det“, belehrt sie Mrs. L und mich googleschlau. 

Hanoi in Berlin

Ein­gang zum Dong Xuang Markt in Berlin
Der Zugang zur asia­ti­schen Welt ver­birgt sich in einer Lager­hal­le hin­ter einem Plas­tik­vor­hang. Seit 2006 befin­det sich auf frei geräum­ten Flä­chen auf dem ehe­ma­li­gen Gelän­de der VEB Elek­tro­koh­le Lich­ten­berg das asia­ti­sche Handels‑, Geschäfts- und Ein­kaufs­zen­trum Dong Xuan Center.

Gut ver­steckt hin­ter Back­stein­rui­nen, auf 160.000 Qua­drat­me­ter erstreckt sich eine eige­ne asia­ti­sche Welt. Wer durch das Por­tal kommt und die ers­te Lager­hal­le betritt, … wei­ter im Text