Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie wintertags vor, sagen wir mal 50 Jahren die Versorgungswege zum Sauerland aufrechterhalten werden konnten. Einmal mehr ist nämlich das Sauerland trotz des nahenden Frühlings eingeschneit. Wir müssen halt hier mit allem rechnen.
Kategorie: Sauerland
Sauerländer Jecken
Karneval und Sauerland, das schließt sich eigentlich gegenseitig aus, zumindest dann, wenn man Karneval mit Humor in Verbindung bringt. Der Sauerländer spricht sich davon nämlich gänzlich frei. Wer nun Karneval als Freund von Albernheiten und des Trinksports ansieht, der wird den Sauerländer auch da finden. Und tatsächlich, hier, im Randgebiet des Sauerlands wird ebenfalls gefeiert. Die Kernkompetenz von uns Sauerländern ist das allerdings nicht. Im Sauerland können wir Schützenfest – und das nicht zu knapp.
Karneval fühlt sich indes hier immer so an wie ein Veganer in einer Metzgerei. Irgendwie nicht richtig, leicht gequält und im Grund froh, wenn’s vorbei ist. Wobei wir hier noch Glück haben; 10 Kilometer weiter ist der Karneval gänzlich unbekannt und so kommen wir sozusagen mit einem Streifschuss davon.
Die Kinder singen ein bisschen an den Haustüren für Süßigkeiten, die Jugendlichen einen Tag später für Alkoholisches, zwei kleine Veranstaltungen und das war’s dann. Für die heimischen Akteure indes ist der Sauerländer Karneval eine Art Abhärtung zur Steigerung der Widerstandsfähigkeit.
Das Publikum dankt nämlich dem Versuch des Humors der karnevalistischen Bühneneinzelkämpfer meist mit gepflegtem Desinteresse.
Aber wie bereits angemerkt, wir hier im Sauerland können Schützenfest, da macht uns keiner was vor. Und was den Humor angeht – den sollten wir eh besser den anderen überlassen
35 Jahre Kalkofen Open Air
Dieser Tage feiert ein Festival Geburtstag, das zusammen mit der Generation ’68 die Gesellschaft nachhaltig verändert hat. 50 Jahre Woodstock. Das legendäre Festival, dass nicht in Woodstock sondern in Bethel, 70 Kilometer von Woodstock entfernt stattfand, ist das Kultereignis, wenn es um Open-Air Festivals geht.
In Anlehnung an das berühmteste Festival der Welt wurde vor 35 Jahren das Kalkofen-Open-Air ins Leben gerufen. Und auch wenn wir etwas organisierter waren: Die friedliche Sunshine Atmosphäre war der in Woodstock sicherlich ähnlich.
Den größten Schreck bereitete mir seinerzeit ausgerechnet ein Woodstock Veteran. Alvin Lee, den wir im Jahre 1995 zum zehnten Kalkofenfestival begrüßen konnten, war bei seinem Auftritt bereits einigermaßen angeschickert, verließ mitten im Gig die Bühne, um sich mit Jack Daniels für das große Finale mit dem Lied „I‘m going home“, zu stärken. Nach dem Drink (nach meinen Erinnerungen war das mindestens eine halbe Flasche Jacky) torkelt Alvin Lee zurück zur Kalkofenbühne.
Ich hatte größte Sorge, dass er hinten rüber kippt. Weit gefehlt, als der grandiose Sänger und Gitarrist den ersten Schritt auf die Bühne tat, schien er schlagartig nüchtern, sagte aber nichts. Mir stand der Schweiß auf der Stirn.
Lee war damals bereits 51 Jahre alt und ich befürchtete, er könnte sich in Anlehnung an die alten Zeiten doch etwas übernommen haben. Von wegen, Alvin Lee packte sich seine Gitarre, guckte in die Zuschauermenge, die inzwischen, ob der Erwartung ziemlich ruhig waren und schrie plötzlich ins Mikro: „Here we are, let‘s have Woodstock“, und zeigte dem schier ausflippenden Publikum beim Kalkofen-Open-Air 1995 in einem Gitarrensolo, warum er als der schnellste Gitarrist der Welt bezeichnet wurde.
Ten Years After mit Frontmann Alvin Lee in Woodstock 1969
Wagners Änne
In meiner Kinder — und Jugendzeit gab es in meinem Dorf einen Haushaltswarenladen. Die Besitzerin, eine betagte Dame, in meiner Erinnerung weit über die Siebzig, hieß Wagners Änne. Die Dame ruhte in den weniger frequentierten Zeiten auf einem Sofa im Wohnbereich des Ladens, der sich an die Ladenzeile anschloss. Oftmals vergaß die Ladenbesitzerin ihr Geschäft abzuschließen und so konnte man auch noch am späten Abend Schrauben oder Briefmarken erwerben. In diesem Laden gab es alles rund um den Haushalt. Was es dort nicht gab, brauchte man schlichtweg nicht.
In Kindertagen wurde hier das Taschengeld in Spielzeug umgesetzt, es gab alles rund um das Fahrrad, Haushaltsartikel, Postkarten, Einmachgummis und noch vieles mehr, was dieser Laden in den schier unendlichen Lager neben Wohnstube und Ladenzeile beherbergte. Ich erinnere mich, an einem Samstagnachmittag bei meiner Mutter einen Kaminofen installiert zu haben, bei dem freilich die Ofenrohre fehlten.
Damals gab es noch keine Baumärkte in der Nähe und Samstags waren die Geschäfte ebenso geschlossen, wie Mittwochsnachmittags. Die einzig verbleibende Möglichkeit, zumal an einem Samstagnachmttag, war Wagners Änne.
Und tatsächlich, die alte Dame hatte vergessen die Tür abzuschließen.
Nach einem Palim Palim an der Ladentür und mehrfachen Rufen schlurfte Wagners Änne aus ihrem Wohnbereich in Richtung Laden. Ich entschuldigte mich mehrfach und berichtete von meinem Malheur der vergessenen Ofenrohre. Sie wies mich mit einem kurzen Nicken an, hinten im Lager das was ich brauchte zusammen zu suchen. Mit einem kurzen: “Schreib’ auf, was Du mit nimmst und leg mir den Zettel auf die Theke,“ ließ sich die Königin der Haushaltswaren nicht weiter von ihrem Samstagsnachmittagsschläfchen abhalten.
Vor ein paar Jahren, mit über neunzig Jahren wollten ihre Beine nicht mehr und Wagners Änne legte sich zu ewigen Ruhe.
Heute gibt es Amazon. Da gibt es auch alles. Anschreiben lassen kann man dort nicht.
Brauchtumspflege
Das Schützenfest ist für den Sauerländer das, was für den Kölner der Karneval ist. Beides ist unausweichlich, es sei denn man führe an den heiligsten Tagen mindestens vierzehn Tage in den Urlaub oder stirbt. Wobei, im Sauerland ist auch beim Tod die Schützenbruderschaft dabei und wenn’s die Pietät beispielsweise aufgrund des hohen Alters des Verstorbenen hergibt, wird im Anschluss noch einer genommen.
Sehr zum Leidwesen von Ms. L versuche ich mich regelmäßig von der Brauchtumspflege zurückzuziehen. Ms.L und das Netzkind hingegen feiern das Schützenfest so, wie es sich für den Sauerländer gehört. Von morgens bis nachts, ohne Rücksicht auf die zunehmende Alkoholisierung.
In diesem Jahr kam hilfreich hinzu ein Sturzregen, der unseren Keller zu überfluten drohte. Grund genug, meiner Verpflichtung nachzugehen, auf Haus und Hof aufzupassen und die Schützenfestpflicht in der Prioritätenliste unterhalb der Notwendigkeit einer Wasserpumpaktion im Keller zu stellen.
Wenn allerdings der Nachbar Schützenkönig werden sollte, hilft keine Ausrede und kein Wassereinbruch mehr.
Ms. L überraschte mich, mit hochgekrempelten Hosenbeinen stehend im Gewässer, einem Storch nicht unähnlich und einer Pumpe hantierend, mit der Aufforderung mich an die Front zu begeben
Widerstand ist in diesem Falle zwecklos, es sei denn, man möchte die Streitkultur im Sauerland antesten.
Um nun dennoch relativ unbeschadet Schützenfest zu überstehen, gibt es allerdings einen Trick:
Einfach das dreißigste Glas Bier stehen lassen.
Der Maulwurf
Zweifelsohne hat der Maulwurf, der große Teile des heimischen Rasens annektiert hat, erkannt, welche Fähigkeiten er besitzt. Entgegen des Gedichts von Heinz Erhard und den Erdaushüben nach zu urteilen scheint er sich jedoch eher aus — als einzugraben
Es ist ja nicht so, dass es meinerseits keine große Toleranz gegenüber eigentlich wild lebenden Tieren gibt, die im Winter die Nähe der Menschen suchen; die Mäuse auf dem Dachboden sind mein Zeuge.
Gastfreundschaft sollte allerdings generell nicht überstrapaziert werden. Eine allzu hohe Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit nämlich, geht meinerseits einher mit rigorosem Feldzug gegen den Okkupanten.
Maulwürfe fallen meines Erachtens nicht unter das Kriegsvölkerrecht, wohl aber unter den Artenschutz. Die Vermutung liegt also nahe, Maulwürfe im Allgemeinen und meinen Maulwurf im speziellen durch psychologische Kriegsführung vertreiben zu dürfen. In meinem Fall als Silvesterböller, gezündet in der unterirdischen Heimat des ansonsten nützliche Insektenfressers.
Allein – meinen Maulwurf ficht das nicht an.
Mit ungestümer Beharrlichkeit wirft der Insektenfresser Erde aus, die ich bereits ob der Menge zum Anlegen neuer Beete nutzen konnte.
Ohne näher auf den nächsten Versuch der Landrückführung eingehen zu wollen, sei an der Stelle gesagt: Beim nächsten Mal wird eine größere Menge hochexplosiven Materials eine entscheidende Rolle spielen.
Nützliches Erbe
Der Kumpel erzählt von einem ganz besonderen Geschenk für seinen gerade volljährig gewordenen Sohn.
Er habe ihm am Geburtstag in seinen Hobbyraum geschleppt. Der Hobbyraum ist eine eingerichtete Werkstatt mit einem Sammelsurium von Motorrädern in Teilen.
Dem erstaunten Sprössling gratulierte er dann mit den Worten:“ Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Du bist nun stolzer Besitzer einer Honda Boldor, musst Dir nur noch die passenden Teile suchen und zusammenschrauben.“
Nach zwei drei Anläufen gab der Junge mit dem Hinweise auf, das nächste Mal sollte es vielleicht ein Geschenk in Richtung PC-Hardware sein, da kenne er sich aus.
Vor etwa dreißig Jahren, überreichte mir überraschender Weise der Großvater einer Bekannten mehrere Zigarrenkisten, in denen er fein säuberlich, im Innern mit Sperrholzplättchen abgetrennt, die Schrauben aufbewahrte, die ihm offensichtlich im Laufe des Lebens in die Finger gekommen waren.
Meine Hochachtung galt der Akribie der Sammelleidenschaft und der Menge gerauchter Zigarren gleichermaßen.
Gestern dann der Lohn für jahrzehntelanger Aufbewahrung der zweckentfremdeten Kästchen: Eine dringend benötigte Spezialschraube, weder im Baumarkt noch sonst wo zu bekommen, fand sich in Zigarrenkiste Nummer Zwei.
Volksbegehren in Beleckes Aula
Nein, das war nicht der Jürgen Becker, der als politischer Kabarettist bekannt ist. Und es war auch nicht der Mann, der bei der Kabarettsendung Mitternachtsspitzen seinen Finger in gesellschaftlichen Wunden legt und Missstände mit einem Schlag Kölner Humor parodiert. Jürgen Becker gastierte gestern in Belecke in der Aula und wer vom Programmtitel „Volksbegehren“ auf eine kritische Aufarbeitung direkter Demokratie geschlossen haben sollte, der lag falsch.… weiter im Text
Die Weihnachtsplätzchenmaschine
Die bessere Hälfte liebt es traditionell. An Weihnachten gibt’s einen Weihnachtsbaum, natürlich natürlich, nicht zu reichhaltig geschmückt, mit bunten Kugeln, Kerzen, ein wenig Lametta, fertig.
Vor Weihnachten, also etwa um diese Zeit, wird gebacken. Dazu muss der Teig durch eine Weihnachtsplätzchen-Maschine gedreht werden, die die Bezeichnung Maschine ob der quälenden mechanischen Bedienung mittels Kurbel nicht verdient.
Eine Kurbel! Ich meine, wir leben im 21. Jahrhundert, und ich soll der besseren Hälfte zur Hand gehen, indem ich eine Maschine bedienen muss, die eine Kurbel hat? Der Vorschlag, eine Bohrmaschine anzuschließen, missachtete die bessere Hälfte geflissentlich.
Die Kurbel kurbelnd räsonierte ich über Sinn und Zweck der Maschine mit der Kurbel und wollte zum rhetorischen Dolchstoß für ebendiese Maschine ausholen, als mich die bessere Hälfte umgehend zum Schweigen brachte: “Erstens nennt man die Weihnachtsplätzchenmaschine auch Fleischwolf und zweitens — wer nicht kurbelt, der kriegt auch keine Plätzchen.”