Sauerländer Jecken

Kar­ne­val und Sau­er­land, das schließt sich eigent­lich gegen­sei­tig aus, zumin­dest dann, wenn man Kar­ne­val mit Humor in Ver­bin­dung bringt. Der Sau­er­län­der spricht sich davon näm­lich gänz­lich frei. Wer nun Kar­ne­val als Freund von Albern­hei­ten und des Trink­sports ansieht, der wird den Sau­er­län­der auch da fin­den. Und tat­säch­lich, hier, im Rand­ge­biet des Sau­er­lands wird eben­falls gefei­ert. Die Kern­kom­pe­tenz von uns Sau­er­län­dern ist das aller­dings nicht. Im Sau­er­land kön­nen wir Schüt­zen­fest – und das nicht zu knapp.

Kar­ne­val fühlt sich indes hier immer so an wie ein Vega­ner in einer Metz­ge­rei. Irgend­wie nicht rich­tig, leicht gequält und im Grund froh, wenn’s vor­bei ist. Wobei wir hier noch Glück haben; 10 Kilo­me­ter wei­ter ist der Kar­ne­val gänz­lich unbe­kannt und so kom­men wir sozu­sa­gen mit einem Streif­schuss davon.

Die Kin­der sin­gen ein biss­chen an den Haus­tü­ren für Süßig­kei­ten, die Jugend­li­chen einen Tag spä­ter für Alko­ho­li­sches, zwei klei­ne Ver­an­stal­tun­gen und das war’s dann. Für die hei­mi­schen Akteu­re indes ist der Sau­er­län­der Kar­ne­val eine Art Abhär­tung zur Stei­ge­rung der Widerstandsfähigkeit.

Das Publi­kum dankt näm­lich dem Ver­such des Humors der kar­ne­va­lis­ti­schen Büh­nen­ein­zel­kämp­fer meist mit gepfleg­tem Desinteresse.

Aber wie bereits ange­merkt, wir hier im Sau­er­land kön­nen Schüt­zen­fest, ⁣ da macht uns kei­ner was vor. Und was den Humor angeht – den soll­ten wir eh bes­ser den ande­ren überlassen

35 Jahre Kalkofen Open Air

Die­ser Tage fei­ert ein Fes­ti­val Geburts­tag, das zusam­men mit der Gene­ra­ti­on ’68 die Gesell­schaft nach­hal­tig ver­än­dert hat. 50 Jah­re Wood­stock. Das legen­dä­re Fes­ti­val, dass nicht in Wood­stock son­dern in Bethel, 70 Kilo­me­ter von Wood­stock ent­fernt statt­fand, ist das Kult­ereig­nis, wenn es um Open-Air Fes­ti­vals geht.

In Anleh­nung an das berühm­tes­te Fes­ti­val der Welt wur­de vor 35 Jah­ren das Kalk­ofen-Open-Air ins Leben geru­fen. Und auch wenn wir etwas orga­ni­sier­ter waren: Die fried­li­che Suns­hi­ne Atmo­sphä­re war der in Wood­stock sicher­lich ähnlich.

Den größ­ten Schreck berei­te­te mir sei­ner­zeit aus­ge­rech­net ein Wood­stock Vete­ran. Alvin Lee, den wir im Jah­re 1995 zum zehn­ten Kalk­ofen­fes­ti­val begrü­ßen konn­ten, war bei sei­nem Auf­tritt bereits eini­ger­ma­ßen ange­schi­ckert, ver­ließ mit­ten im Gig die Büh­ne, um sich mit Jack Dani­els für das gro­ße Fina­le mit dem Lied „I‘m going home“, zu stär­ken. Nach dem Drink (nach mei­nen Erin­ne­run­gen war das min­des­tens eine hal­be Fla­sche Jacky) tor­kelt Alvin Lee zurück zur Kalkofenbühne.

Ich hat­te größ­te Sor­ge, dass er hin­ten rüber kippt. Weit gefehlt, als der gran­dio­se Sän­ger und Gitar­rist den ers­ten Schritt auf die Büh­ne tat, schien er schlag­ar­tig nüch­tern, sag­te aber nichts. Mir stand der Schweiß auf der Stirn.

Lee war damals bereits 51 Jah­re alt und ich befürch­te­te, er könn­te sich in Anleh­nung an die alten Zei­ten doch etwas über­nom­men haben. Von wegen, Alvin Lee pack­te sich sei­ne Gitar­re, guck­te in die Zuschau­er­men­ge, die inzwi­schen, ob der Erwar­tung ziem­lich ruhig waren und schrie plötz­lich ins Mikro: „Here we are, let‘s have Wood­stock“, und zeig­te dem schier aus­flip­pen­den Publi­kum beim Kalk­ofen-Open-Air 1995 in einem Gitar­ren­so­lo, war­um er als der schnells­te Gitar­rist der Welt bezeich­net wurde.


Ten Years After mit Front­mann Alvin Lee in Wood­stock 1969

Wagners Änne


In mei­ner Kin­der — und Jugend­zeit gab es in mei­nem Dorf einen Haus­halts­wa­ren­la­den. Die Besit­ze­rin, eine betag­te Dame, in mei­ner Erin­ne­rung weit über die Sieb­zig, hieß Wag­ners Änne. Die Dame ruh­te in den weni­ger fre­quen­tier­ten Zei­ten auf einem Sofa im Wohn­be­reich des Ladens, der sich an die Laden­zei­le anschloss. Oft­mals ver­gaß die Laden­be­sit­ze­rin ihr Geschäft abzu­schlie­ßen und so konn­te man auch noch am spä­ten Abend Schrau­ben oder Brief­mar­ken erwer­ben. In die­sem Laden gab es alles rund um den Haus­halt. Was es dort nicht gab, brauch­te man schlicht­weg nicht.

In Kin­der­ta­gen wur­de hier das Taschen­geld in Spiel­zeug umge­setzt, es gab alles rund um das Fahr­rad, Haus­halts­ar­ti­kel, Post­kar­ten, Ein­mach­gum­mis und noch vie­les mehr, was die­ser Laden in den schier unend­li­chen Lager neben Wohn­stu­be und Laden­zei­le beher­berg­te. Ich erin­ne­re mich, an einem Sams­tag­nach­mit­tag bei mei­ner Mut­ter einen Kamin­ofen instal­liert zu haben, bei dem frei­lich die Ofen­roh­re fehlten.

Damals gab es noch kei­ne Bau­märk­te in der Nähe und Sams­tags waren die Geschäf­te eben­so geschlos­sen, wie Mitt­wochs­nach­mit­tags. Die ein­zig ver­blei­ben­de Mög­lich­keit, zumal an einem Sams­tag­nach­mt­tag, war Wag­ners Änne.

Und tat­säch­lich, die alte Dame hat­te ver­ges­sen die Tür abzuschließen.

Nach einem Palim Palim an der Laden­tür und mehr­fa­chen Rufen schlurf­te Wag­ners Änne aus ihrem Wohn­be­reich in Rich­tung Laden. Ich ent­schul­dig­te mich mehr­fach und berich­te­te von mei­nem Mal­heur der ver­ges­se­nen Ofen­roh­re. Sie wies mich mit einem kur­zen Nicken an, hin­ten im Lager das was ich brauch­te zusam­men zu suchen. Mit einem kur­zen: “Schreib’ auf, was Du mit nimmst und leg mir den Zet­tel auf die The­ke,“ ließ sich die Köni­gin der Haus­halts­wa­ren nicht wei­ter von ihrem Sams­tags­nach­mit­tags­schläf­chen abhalten.

Vor ein paar Jah­ren, mit über neun­zig Jah­ren woll­ten ihre Bei­ne nicht mehr und Wag­ners Änne leg­te sich zu ewi­gen Ruhe.

Heu­te gibt es Ama­zon. Da gibt es auch alles. Anschrei­ben las­sen kann man dort nicht. 

Brauchtumspflege

Das Schüt­zen­fest ist für den Sau­er­län­der das, was für den Köl­ner der Kar­ne­val ist. Bei­des ist unaus­weich­lich, es sei denn man füh­re an den hei­ligs­ten Tagen min­des­tens vier­zehn Tage in den Urlaub oder stirbt. Wobei, im Sau­er­land ist auch beim Tod die Schüt­zen­bru­der­schaft dabei und wenn’s die Pie­tät bei­spiels­wei­se auf­grund des hohen Alters des Ver­stor­be­nen her­gibt, wird im Anschluss noch einer genommen.

Sehr zum Leid­we­sen von Ms. L ver­su­che ich mich regel­mä­ßig von der Brauch­tums­pfle­ge zurück­zu­zie­hen. Ms.L und das Netz­kind hin­ge­gen fei­ern das Schüt­zen­fest so, wie es sich für den Sau­er­län­der gehört. Von mor­gens bis nachts, ohne Rück­sicht auf die zuneh­men­de Alkoholisierung.

In die­sem Jahr kam hilf­reich hin­zu ein Sturz­re­gen, der unse­ren Kel­ler zu über­flu­ten droh­te. Grund genug, mei­ner Ver­pflich­tung nach­zu­ge­hen, auf Haus und Hof auf­zu­pas­sen und die Schüt­zen­fest­pflicht in der Prio­ri­tä­ten­lis­te unter­halb der Not­wen­dig­keit einer Was­ser­pumpak­ti­on im Kel­ler zu stellen.

Wenn aller­dings der Nach­bar Schüt­zen­kö­nig wer­den soll­te, hilft kei­ne Aus­re­de und kein Was­ser­ein­bruch mehr.

Ms. L über­rasch­te mich, mit hoch­ge­krem­pel­ten Hosen­bei­nen ste­hend im Gewäs­ser, einem Storch nicht unähn­lich und einer Pum­pe han­tie­rend, mit der Auf­for­de­rung mich an die Front zu begeben

Wider­stand ist in die­sem Fal­le zweck­los, es sei denn, man möch­te die Streit­kul­tur im Sau­er­land antesten.

Um nun den­noch rela­tiv unbe­scha­det Schüt­zen­fest zu über­ste­hen, gibt es aller­dings einen Trick:

Ein­fach das drei­ßigs­te Glas Bier ste­hen lassen.

Der Maulwurf

Zwei­fels­oh­ne hat der Maul­wurf, der gro­ße Tei­le des hei­mi­schen Rasens annek­tiert hat, erkannt, wel­che Fähig­kei­ten er besitzt. Ent­ge­gen des Gedichts von Heinz Erhard und den Erd­aus­hü­ben nach zu urtei­len scheint er sich jedoch eher aus — als einzugraben

Es ist ja nicht so, dass es mei­ner­seits kei­ne gro­ße Tole­ranz gegen­über eigent­lich wild leben­den Tie­ren gibt, die im Win­ter die Nähe der Men­schen suchen; die Mäu­se auf dem Dach­bo­den sind mein Zeuge.

Gast­freund­schaft soll­te aller­dings gene­rell nicht über­stra­pa­ziert wer­den. Eine all­zu hohe Beein­träch­ti­gung der per­sön­li­chen Frei­heit näm­lich, geht mei­ner­seits ein­her mit rigo­ro­sem Feld­zug gegen den Okkupanten.

Maul­wür­fe fal­len mei­nes Erach­tens nicht unter das Kriegs­völ­ker­recht, wohl aber unter den Arten­schutz. Die Ver­mu­tung liegt also nahe, Maul­wür­fe im All­ge­mei­nen und mei­nen Maul­wurf im spe­zi­el­len durch psy­cho­lo­gi­sche Kriegs­füh­rung ver­trei­ben zu dür­fen. In mei­nem Fall als Sil­ves­ter­b­öl­ler, gezün­det in der unter­ir­di­schen Hei­mat des ansons­ten nütz­li­che Insektenfressers.

Allein – mei­nen Maul­wurf ficht das nicht an.

Mit unge­stü­mer Beharr­lich­keit wirft der Insek­ten­fres­ser Erde aus, die ich bereits ob der Men­ge zum Anle­gen neu­er Bee­te nut­zen konnte.

Ohne näher auf den nächs­ten Ver­such der Land­rück­füh­rung ein­ge­hen zu wol­len, sei an der Stel­le gesagt: Beim nächs­ten Mal wird eine grö­ße­re Men­ge hoch­ex­plo­si­ven Mate­ri­als eine ent­schei­den­de Rol­le spielen.

Nützliches Erbe

Der Kum­pel erzählt von einem ganz beson­de­ren Geschenk für sei­nen gera­de voll­jäh­rig gewor­de­nen Sohn.

Er habe ihm am Geburts­tag in sei­nen Hob­by­raum geschleppt. Der Hob­by­raum ist eine ein­ge­rich­te­te Werk­statt mit einem Sam­mel­su­ri­um von Motor­rä­dern in Teilen.

Dem erstaun­ten Spröss­ling gra­tu­lier­te er dann mit den Wor­ten:“ Herz­li­chen Glück­wunsch zum Geburts­tag, Du bist nun stol­zer Besit­zer einer Hon­da Bold­or, musst Dir nur noch die pas­sen­den Tei­le suchen und zusammenschrauben.“

Nach zwei drei Anläu­fen gab der Jun­ge mit dem Hin­wei­se auf, das nächs­te Mal soll­te es viel­leicht ein Geschenk in Rich­tung PC-Hard­ware sein, da ken­ne er sich aus.

Vor etwa drei­ßig Jah­ren, über­reich­te mir über­ra­schen­der Wei­se der Groß­va­ter einer Bekann­ten meh­re­re Zigar­ren­kis­ten, in denen er fein säu­ber­lich, im Innern mit Sperr­holz­plätt­chen abge­trennt, die Schrau­ben auf­be­wahr­te, die ihm offen­sicht­lich im Lau­fe des Lebens in die Fin­ger gekom­men waren.

Mei­ne Hoch­ach­tung galt der Akri­bie der Sam­mel­lei­den­schaft und der Men­ge gerauch­ter Zigar­ren gleichermaßen.

Ges­tern dann der Lohn für jahr­zehn­te­lan­ger Auf­be­wah­rung der zweck­ent­frem­de­ten Käst­chen: Eine drin­gend benö­tig­te Spe­zi­al­schrau­be, weder im Bau­markt noch sonst wo zu bekom­men, fand sich in Zigar­ren­kis­te Num­mer Zwei.

Volksbegehren in Beleckes Aula

Jürgen Becker in Belecke
Jür­gen Becker in Belecke

Nein, das war nicht der Jür­gen Becker, der als poli­ti­scher Kaba­ret­tist bekannt ist. Und es war auch nicht der Mann, der bei der Kaba­retts­en­dung Mit­ter­nachts­spit­zen sei­nen Fin­ger in gesell­schaft­li­chen Wun­den legt und Miss­stän­de mit einem Schlag Köl­ner Humor par­odiert. Jür­gen Becker gas­tier­te ges­tern in Bele­cke in der Aula und wer vom Pro­gramm­ti­tel „Volks­be­geh­ren“ auf eine kri­ti­sche Auf­ar­bei­tung direk­ter Demo­kra­tie geschlos­sen haben soll­te, der lag falsch.… wei­ter im Text

Die Weihnachtsplätzchenmaschine

Die bes­se­re Hälf­te liebt es tra­di­tio­nell. An Weih­nach­ten gibt’s einen Weih­nachts­baum, natür­lich natür­lich, nicht zu reich­hal­tig geschmückt, mit bun­ten Kugeln, Ker­zen, ein wenig Lamet­ta, fertig.
Vor Weih­nach­ten, also etwa um die­se Zeit, wird geba­cken. Dazu muss der Teig durch eine Weih­nachts­plätz­chen-Maschi­ne gedreht wer­den, die die Bezeich­nung Maschi­ne ob der quä­len­den mecha­ni­schen Bedie­nung mit­tels Kur­bel nicht verdient.

Eine Kur­bel! Ich mei­ne, wir leben im 21. Jahr­hun­dert, und ich soll der bes­se­ren Hälf­te zur Hand gehen, indem ich eine Maschi­ne bedie­nen muss, die eine Kur­bel hat? Der Vor­schlag, eine Bohr­ma­schi­ne anzu­schlie­ßen, miss­ach­te­te die bes­se­re Hälf­te geflissentlich.

Die Kur­bel kur­belnd räso­nier­te ich über Sinn und Zweck der Maschi­ne mit der Kur­bel und woll­te zum rhe­to­ri­schen Dolch­stoß für eben­die­se Maschi­ne aus­ho­len, als mich die bes­se­re Hälf­te umge­hend zum Schwei­gen brach­te: “Ers­tens nennt man die Weih­nachts­plätz­chen­ma­schi­ne auch Fleisch­wolf und zwei­tens — wer nicht kur­belt, der kriegt auch kei­ne Plätzchen.”