Komm morgen wieder

Der Zei­tungs­zu­stel­ler lässt mich wis­sen, dass er auf­grund der Wet­ter­ver­hält­nis­se nicht gewillt ist die Zei­tung zu brin­gen. Der Kol­le­ge ruft an, er kön­ne heu­te auf­grund der Wet­ter­ver­hält­nis­se lei­der nicht zur Arbeit kom­men. Die Müll­ab­fuhr mel­det, dass es auf­grund der Wet­ter­ver­hält­nis­se heu­te zu kei­ner Lee­rung der Müll­ton­nen kommt. Das Post­ge­schäft hat heu­te lei­der geschlos­sen — Na? — rich­tig, auf­grund der Wetterverhältnisse.

Was ist denn los im Sau­er­land? Ich mei­ne, wir sind doch nicht in Sibi­ri­en. Es ist Win­ter, es ist kalt und es liegt Schnee. Offen­sicht­lich haben die Ein­hei­mi­schen die Win­ter ver­ges­sen, die im Sau­er­land frü­her vor­herrsch­ten. Schnee, Käl­te und Minus­tem­pe­ra­tu­ren über Wochen waren sei­ner­zeit etwas völ­lig normales.

Wir Kin­der waren mit der Schnee­ho­se prak­tisch ver­wach­sen und die Nivea­creme, die uns mor­gens zen­ti­me­ter­dick auf das Gesicht geschmiert wur­de, konn­te abends hart­ge­fro­ren ein­fach abge­nom­men wer­den. Tief­ge­fro­re­ne Lebens­mit­tel wur­den drau­ßen gela­gert und die Frisch­milch, die der Milch­mann damals noch lie­fer­te, wur­de in Stan­gen ver­kauft. Wer das Auto über Nacht nicht in der Gara­ge par­ken konn­te, ging zu Fuß zur Arbeit. Der hei­mi­sche Opel Rekord mit dem schi­cken Vinyl­dach taug­te als Fort­be­we­gungs­mit­tel sowie­so bes­ten­falls für Tem­pe­ra­tu­ren bis zur Gefriergrenze.

Win­ter 1969/70
Gestreut wur­de nicht, Salz war allen­falls als Gewürz in der Küche bekannt. Das Fort­be­we­gungs­mit­tel für uns Kin­der war der Schlit­ten. Die Bür­ger­stei­ge waren eis­glatt und ein beson­de­rer Spaß war die Auf­füh­rung des Hecht­sprungs ver­ängs­tig­ter Fuß­gän­ger in die Schnee­ber­ge rechts und links vom Geh­steig, zur Ver­mei­dung der Erfah­rung punkt­ge­nau­er Kol­li­si­on zwi­schen Schie­nen­bein und metallu­man­tel­ten Schlittenkufen.

Ich schwei­fe ab. Viel­leicht macht sich auf­grund der Coro­na-Kri­se ein­fach ein wenig Dol­ce Vita breit. Wenn der Sau­er­län­der Laden­be­sit­zer hier bei minus 12 Grad im Win­ter sein Geschäft geschlos­sen hat, folgt er offen­sicht­lich der Regel des Kol­le­gen in Ita­li­en bei 35 Grad im Sommer:

<code>‘Vieni di nuo­vo domani.’</code>
"Komm morgen wieder."