Guidos Welt

Gui­do Wes­ter­wel­le erin­nert mich an ein klei­nes trot­zi­ges Kind. Wenn er etwas nicht bekommt, dann plärrt er und wenn er Mist gebaut hat, dann waren es die Ande­ren. Nach­dem er im Wahl­kampf eine unrea­lis­ti­sche Steu­er­sen­kung ver­spro­chen hat und der Koali­ti­ons­part­ner ihn zurück­pfei­fen muss­te, posaunt er nun die nächs­te Ver­bal­at­ta­cke ins Volk und erklärt kur­zer­hand die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt fest­ge­stell­ten ver­fas­sungs­wid­ri­gen Hartz IV Sät­ze als „anstren­gungs­lo­sen Wohl­stand“, den der FDP-Chef als Ein­la­dung zu „spät­rö­mi­scher Deka­denz“ sieht.

Das eine Sozi­al­leis­tung des Staa­tes nichts mit Wohl­stand zu tun hat, son­dern ein Grund­recht auf Gewähr­leis­tung eines men­schen­wür­di­gen Exis­tenz­mi­ni­mums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit dem Sozi­al­staats­prin­zip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert, ist dem pro­mo­vier­ten Juris­ten Wes­ter­wel­le wohl klar, aber es passt ihm nicht.

Und weil die FDP sich nach der Spen­den­af­fä­re mal wie­der im Umfra­ge­tief befin­det, kän­zelt er staat­li­che Hil­fe für die Schwächs­ten der Gesell­schaft als unnö­ti­gen Bal­last ab, den es zu besei­ti­gen gilt. Als Außen­mi­nis­ter kann er sich sol­che Phra­sen eigent­lich nicht leis­ten, als FDP-Chef muss er so han­deln — denn Popu­lis­mus ist die Grund­la­ge sei­ner Partei.

Im Tante Emma Laden

Den Tan­te Emma Laden im klas­si­schen Sin­ne gibt es kaum noch. Das hat vor allem für klei­ne­re Dör­fer teils dras­ti­sche Fol­gen. Jun­ge Fami­li­en wol­len nicht mehr auf dem Dorf leben, ande­re zie­hen auf­grund der bes­se­ren Infra­struk­tur in die Stadt. Schu­len und Kin­der­gär­ten Post­stel­len, Bank­fi­lia­len wer­den geschlos­sen, das Dorf über­al­tert und droht auszusterben.
Bar­men bei Jülich war so ein Dorf. Das Dorf mit sei­nen 1400 Ein­woh­nern liegt in der Nähe von Köln. Ein Laden nach dem andern schloß sei­ne Pfor­ten. Damit woll­te Heinz Frey sich nicht abfin­den. Der Leh­rer und Kom­mu­nal­po­li­ti­ker aus Bar­men grün­de­te 2003 den Ver­ein Dorv (Dienst­leis­tung und Orts­na­he Rund­um Ver­sor­gung) und erstell­te ein Kon­zept für eine ver­blei­ben­de Ver­sor­gung im Dorf.

Doch zuerst hieß es Klin­ken put­zen. Frey über­zeug­te die Bür­ger des Dor­fes, sam­mel­te Geld mit so genann­te Dorf Akti­en, das Stück für 250 Euro, denn die Ban­ken hat­ten kein Inter­es­se an einer Finan­zie­rung. Durch ein Grün­der­dar­le­hen und wei­te­re Kre­di­te der Bür­ger stand schließ­lich die Anschub­fi­nan­zie­rung. Die Gebäu­de der ehe­ma­li­gen Gast­stät­te wur­de für das neue Zen­trum umge­baut. 2004 schließ­lich wag­te der Ver­ein die Eröff­nung des Dorf Zentrums.

Frey refe­riert inzwi­schen auf Ver­an­stal­tun­gen zu dem Kon­zept und war ges­tern Abend auf einer Ver­an­stal­tung in Drewer.

„Es wird nicht ohne das Enga­ge­ment der Bür­ger funk­tio­nie­ren“, mach­te Frey klar, der die Mach­bar­keits­stu­die für Dre­wer vor­stell­te. Es müs­se ein Umsatz von ca. 400 Euro täg­lich gene­riert wer­den, dann tra­ge sich ein sol­cher Laden und ein klei­ner Gewinn sei eben­falls möglich.

Als Räum­lich­kei­ten kön­ne der Raum unter der Schüt­zen­hal­le genutzt wer­den. Über­le­gun­gen, die alte Schu­le für ein Dorf­zen­trum zu nut­zen wur­den zwar nicht ver­wor­fen, schei­tern aber vor­aus­sicht­lich an den immensen Kos­ten für die Sanie­rung. Der anwe­sen­de Bür­ger­meis­ter Wei­ken mach­te klar, dass die Stadt Rüt­hen grund­sätz­lich bereit wäre, die Schu­le zur Ver­fü­gung zu stel­len, aller­dings nur wenn Dre­wer die Kos­ten für den Erhalt kom­plett allein trage.

Als nächs­ter Schritt ist nun ange­dacht alle Haus­hal­te mit­tels Fra­ge­bo­gen zu ihrer per­sön­li­chen Bereit­schaft zu befra­gen und die Finan­zie­rung zu klä­ren. Bei zwei­hun­dert posi­ti­ven Rück­läu­fern will sich die Arbeits­grup­pe um Uli Heimann und Orts­vor­ste­her Bernd Cor­des zu wei­te­ren Gesprä­chen treffen.

Infos zum Kon­zept: www.dorv.de

We are all sitting in one boat

Für Minis­ter­prä­si­dent Gün­ter Oet­tin­ger ist augen­schein­lich kein Fett­napf klein genug, als das er nicht doch hin­ein­tappt. In einem Inter­view im Novem­ber 2005 vekün­de­te der desi­gnier­te EU-Kommissar:

“Eng­lisch wird die Arbeits­spra­che. Deutsch bleibt die Spra­che der Fami­lie und der Frei­zeit, die Spra­che, in der man Pri­va­tes liest.“ 

… wei­ter im Text

Große Geschenke erhalten große Freundschaften

Der FDP kann man alles mög­li­che vor­wer­fen, aber bestimmt kei­ne Inkon­se­quenz. Die frei­en Demo­kra­ten hat­ten eine Par­tei­spen­de in Mil­lio­nen­hö­he von einer Fir­ma erhal­ten, die zum Impe­ri­um der Fami­lie Finck gehört. Die Fami­lie Finck ist Mit­ei­gen­tü­me­rin der Möven­pick Grup­pe, die in Deutsch­land 14 Hotels betreibt.

In Fol­ge des gro­ßen Geschenks, erwirk­te die FDP ver­gan­ge­nen Okto­ber die Absen­kung des Mehr­wert­steu­er­sat­zes auf Hotel­über­nach­tun­gen von 19 auf 7 Prozent.

Rei­ne Kli­en­tel­po­li­tik? Natür­lich, für nichts ande­res steht die FDP, aber nicht nur im Lager der „Par­tei der Bes­ser­ver­die­nen­den“ ist die Kli­en­tel­po­li­tik zu Hau­se. Denn — Kli­en­tel­po­li­tik sichert das Über­le­ben einer Partei.

Eine Par­tei kann nicht allen Gesell­schafts­schich­ten dien­lich sein, dafür sind die Gesell­schafts­struk­tu­ren zu viel­fäl­tig und ihre Inter­es­sen lau­fen teil­wei­se dia­me­tral. Was den einen stärkt, wird den Ande­ren schwä­chen. Ein Unter­neh­mer wird kein Inter­es­se an der Erstar­kung der Gewerk­schaf­ten haben, die Atom­lob­by kein Inter­es­se an Sub­ven­tio­nen für erneu­er­ba­re Ener­gien usw. usf.

Das heißt, jede Par­tei wird sich ihre Kli­en­tel suchen müs­sen und sie bedie­nen, wer sich von der Kli­en­tel­po­li­tik ver­ab­schie­det, wird nicht mehr gewählt. Das muss­te die SPD unter Ger­hard Schrö­der schmerz­lich erfah­ren, die sich von ihrer Kli­en­tel, den Arbei­tern, mit der Agen­da 2010 und ins­be­son­de­re der Refor­mie­rung der Arbeits­lo­sen­hil­fe, verabschiedete.

Das über­ra­schen­de Ergeb­nis der FDP bei der Bun­des­tags­wahl eben nicht nur von ihrer Kli­en­tel gewählt gewor­den zu sein und damit fast 15 Pro­zent der Stim­men bekom­men zu haben, ist ein­zig und allein der rhe­to­ri­schen Bega­bung ihres Par­tei­chefs zu ver­dan­ken – und der Unfä­hig­keit eines Teils der (Neu)Wählerschaft der FDP den Zusam­men­hang zwi­schen Steu­ern und Gemein­wohl (und damit des eige­nen Woh­les) zu erken­nen. Aus die­sem Grund konn­te Wes­ter­wel­le mit dem Slo­gan: “Mehr Net­to vom Brut­to, Arbeit muß sich wie­der loh­nen” punk­ten. Kon­se­quen­ter Wei­se bedient die FDP nach ihrem Wahl­sieg wie­der ihre Kli­en­tel. Das muss sie auch, denn spä­tes­tens wenn Bund und Kom­mu­nen gezwun­gen sind, die von der FDP ver­spro­che­ne Steu­er­ent­las­tung von bis zu 35 Mil­lio­nen Euro und damit Steu­er­aus­fäl­le in die­ser Höhe durch Gebüh­ren­er­hö­hun­gen zu kom­pen­sie­ren und sich die ver­meint­li­che Steu­er­ent­las­tung der FDP als Dana­er­ge­schenk erweist, ist anzu­neh­men, dass die Neu­wäh­ler­schaft der FDP den Rücken kehrt. Die eigent­li­che Kli­en­tel wird aller­dings wei­ter­hin FDP wäh­len, denn sie kann sich der Zuwen­dung ihrer Par­tei sicher sein, das haben die Libe­ra­len ja gera­de beweisen.

Inso­fern ist die Par­tei um Gui­do Wes­ter­wel­le kon­se­quen­ter als ande­re Parteien.

Wer als Par­tei aller­dings so offen­sicht­lich Kli­en­tel­po­li­tik betreibt wie das die FDP tut, muss zumin­dest mit Spott rechnen.